SPD: Liebe Basis, lasst Euch nicht täuschen und zeigt Rückgrat

Die Diskussionen um eine mögliche Große Koalition sind ein Witz. Die Überzeugungstour der SPD-Parteispitze bei der Basis ist billigste, rhetorische Angstmache. Fakt ist: Die wichtigsten Gründe, warum die Basis der Sozialdemokraten für oder gegen die Koalition stimmen sollte, werden schlichtweg außer Acht gelassen und damit der sozialdemokratische Geist verraten.

Es ist schon sehr ernüchternd, wenn man beobachtet, wie Sigmar Gabriel die SPD-Mitglieder auf ein JA für die Koalition mit der Union einschwört. Es ginge nicht darum, die SPD für ihre Vergangenheit abzustrafen, womit natürlich die Agenda 2010 gemeint ist. Sondern jeder Bürger da draußen wäre um mehr soziale Gerechtigkeit bestraft, wenn die Basis dem Koalitionsvertrag nicht zustimmen würde. Es ginge nicht um die SPD, es gehe um die Menschen. Welcher Sozialdemokrat will da schon widersprechen?

Und Neuwahlen? Gott bewahre! Man würde unter 20 Prozent landen, so die düstere Verheißung. Welches Parteimitglied möchte dafür verantwortlich sein?

Und schon melden die Nachrichtenagenturen Umfrageergebnisse, nach denen die Mehrheit der SPD-Mitglieder zustimmen würde. Wenn dem so ist, dann hätte eine Nein-Stimme sowieso keinen Sinn, denkt sich vielleicht so manches Mitglied. Und wer will schon zu den Verlierern gehören? Dann lieber mit Optimismus hoffen und gegebenenfalls später meckern.

Da möchte man die Hände über den Kopf zusammenschlagen und beten, dass die Mehrheit der SPD-Mitglieder auf diese billige Rhetorik nicht hereinfallen, sondern sich darauf besinnen, warum sie einmal der SPD beigetreten sind und wofür sie stehen.

Ganz nüchtern betrachtet: Dieser Vertrag, den die SPD-Führung ausgehandelt hat, ist für die Sozialdemokratie alles andere als ein großer Wurf! Der durchgesetzte Mindestlohn soll flächendeckend ab 2017 gelten. 2017? Wie hoch ist die jährliche Inflationsrate? Spielt keine Rolle. Und wie hoch dann die Abgaben sein werden, weil ja – noch so ein angeblicher Erfolg – die (berechtigte) Mütterrente finanziert werden muss, ist ebenfalls offen. Zusätzliche Einnahmen über eine „Reichensteuer“ fallen aus. Da hört die Solidarität auf. Übrig bleibt wieder einmal der kleine Steuerzahler, also Ihre Klientel. Dieses Konzept ist in keinster Weise ein Schritt zu mehr sozialer Gerechtigkeit, sondern trägt einzig und allein nur diese als Überschrift. Die Umverteilung von unten nach oben kann demnach munter weitergehen. Aber Herrn Gabriel wird das nicht stören und seine gerade von ihm oft erwähnten Töchter (einmal genau zugehört?) ebenfalls nicht. Es ist an der Zeit, dass die Basis der Sozialdemokraten (warum heißt die Partei noch so?) zeigt, dass sie selbstbewusst eine Idee verfolgt und diese nicht zu Gunsten einer weiterbetriebenen Lobbypolitik und gut bezahlten Ministerposten für eine bis auf diese Tage völlig basisferne Parteiführung.

Da sind wir schon bei einem der Themen, die für die sozialdemokratische Spitze anscheinend gar keine Rolle spielen, obgleich sie die Grundwerte der Partei berühren: Lobbyismus. Welche Pläne gibt es, den massiven Lobbyismus in Berlin einzudämmen? Nach der Bundestagswahl bekam die SPD vom Chemie- und Energiekonzern Evonik 90.000 Euro überwiesen, die CDU 70.000 Euro. Was meinen Sie wofür? Für eine „Energiewende“, die sich für die Verbraucher auszahlt? Nach dem Koalitionsvertrag wurde dieser Wende der Wind aus den Segeln genommen. Und wie sieht es eigentlich aus mit den Konzernen, die in Deutschland kaum Steuern bezahlen und ihre Gewinne in den Steueroasen parken und damit Milliarden an Steuern vermeiden? Kein Thema?

Und wo wir gerade bei der Wirtschaft und bei Großkonzernen sind. Für wen ist ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA entscheidend? Und warum? Weshalb sind die Gespräche in Brüssel geheim und warum wird über einen für unsere Zukunft so einschneidenden Plan nicht debattiert und demokratisch im Parlament abgestimmt?

Und die Geheimdienstaffäre? Die Totalüberwachung? Killerdrohnen, die von Deutschland aus koordiniert werden? Der geheime Krieg? Wo und wie werden „unseren Freunden“ die Grenzen aufgezeigt, haben wir etwa keine mehr? Gehört es nicht auch zur Sozialdemokratie, unsere Verfassung zu verteidigen, das Recht auf informelle Selbstbestimmung? Und wenn nicht, warum nicht? Ist das etwa kein Thema für unsere Gesellschaft? Ihre Antwort könnte sein, dass dies mit den USA eben auf Grund unserer Vergangenheit kompliziert sei. Vielleicht haben Sie Recht, aber gerade deshalb gehört die Frage, wie Souveränität verstanden und zukünftig durchzusetzen sein wird zu den Hauptpunkten einer breiten Debatte und nicht an den Rand der Verschwiegenheit. Schweigen Sie mit?

Kommen wir zur Europa-Politik! Unterstützen Sie eine nicht demokratisch gewählte EU-Kommission? Unterstützen Sie die von der SPD nicht näher geprüften Bankenrettungen? Gesetze, die Hunderte von Seiten dick und in wenigen Stunden (nicht) zu lesen sind, damit Milliarden angeblich alternativlos in die Finanzinstitute wandern, die aktuell nicht nur für Zinsmanipulationen bestraft werden, sondern auch im Verdacht stehen, den Devisenhandel massiv manipuliert zu haben? Das sindfeindselige Akte gegen die Gesellschaft, trotz Rettungen durch den Steuerzahler. Ach, es geht da um Europa? Für ein friedliches Europa? Wenn es um Europa ginge, dann würde die SPD die ständigen seit 2010 anhaltenden Massenproteste in Griechenland, Spanien und Portugal nicht ignorieren – die Proteste richten sich schließlich nicht nur gegen Spardiktate der sogenannten Troika, sondern auch gegen die immer größer (!) werdende Arbeitslosigkeit. Interessiert die Armut in diesen Ländern die SPD denn so gar nicht, wenn es um Europa-Politik geht? Und hier im eigenen Land? Die Hartz-4-Empfänger, die ständig mit Kürzungen sanktioniert werden, obgleich das Geld auch ohne Kürzung schon kaum reicht, um – dem Grundgesetz entsprechend – würdevoll zu leben. Ist das denn alles kein Thema für die Sozialdemokratie? Ihre Spitze hat zu verantworten, dass ein großer Teil der Gesellschaft ständig gedemütigt wird. Gesetz ist Gesetz. Und bis zum Verfassungsgericht ist es ein langer Weg. Fühlen Sie sich da gar nicht gefragt? Wollen Sie nicht einmal zeigen, dass damit endlich Schluss ist? Ihre Kinder werden es Ihnen danken.

Es gibt viele Gründe, diesem Vertrag nicht zuzustimmen. Es gibt viele Gründe, jetzt zu zeigen, dass zumindest Sie noch Sozialdemokrat sind.

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5 Antworten zu SPD: Liebe Basis, lasst Euch nicht täuschen und zeigt Rückgrat

  1. Harald Münzhardt schreibt:

    Danke Herr Kügler für diesen wichtigen Appell und Ihre Begründung.

    Ich möchte ihre Argumente ergänzen bzw. präzisieren.

    -Mindestlohn flächendeckend sowie „Mindest“rente erst ab 2017, d.h. erst zur nächsten
    Bundestagswahl! Das ist Verhöhnung der Betroffenen!
    -„Reichensteuer“ fällt aus, d.h. die Umverteilung von „Fleißig nach Reich“ geht munter
    weiter, die sozialen Konflikte wachsen weiter
    -Lobbyismus, Steuerosen gedeihen weiter
    -Sogen. Freihandelsabkommen auf Druck der USA für Großkonzerne mit erheblichen
    Risiken, wie massive Einfuhr von krankmachender Gentechnik-Lebensmitteln!
    -geheime Gespräche in Brüssel
    -Totalüberwachung
    -Killerdrohnen, von Deutschland aus koordiniert!
    -Kein Wort zur längst fälligen deutschen Souveränität!
    -Kein Wort zur nicht demokratisch gewählten EU-Kommission!
    -Kein Wort zu ungeprüfter Banken“rettung“, d.h. Bankenbeschenkung zu Lasten der
    Steuerzahler!
    -Kein Wort zur Gentechnik, nicht einmal Kennzeichnung, wie im Regierungsprogramm der
    SPD (S. 95) festgeschrieben!
    http://www.keine-gentechnik.de/news-gentechnik/news/de/28407.html
    -Die SPD-Spitze ist verantwortlich, dass ein großer Teil der Gesellschaft ständig
    gedemütigt wird!
    Was da in einem Monopol-Gespann zu erwarten ist, lässt sich anhand der bisherigen
    Fakten leicht ausmalen!

    1. Ein Parteienmonopol, was sich als Große Koalition tarnt, und den genannten Machtmißbrauch auf diese Art manifestieren will, gehört nicht nur angeprangert sondern auch folgerichtig abgestraft und aufgelöst, Unterhändler und Verteidiger dieses Unterdrückungspapiers gehören abgewählt!

    2. Ein derartiges Machtmonopol, das eine Hauptforderung der SPD
    „Dazu werden wir auf auch Bundesebene Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide einführen“
    Regierungsprogramm der SPD S. 97 unter
    „VIII .1 Demokratie als Gesellschaftsprinzip“
    20130415_regierungsprogramm_2013_2017.pdf

    unter den Tisch kehren will, zeigt, dass es die wahren Interessen der Bevölkerung Deutschlands skrupellos ignorieren will.
    Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide wären die einzige Möglichkeit, gegen dieses Monster-Gebilde vorzugehen, da eine Opposition faktisch nicht mehr
    existiert.

    3. Das Scheinargument „sozial“ ist eine Verhöhnung für Betroffene, wenn Mindestlohn und „Mindest“rente faktisch auf das Datum der nächsten Bundestagswahlen verschoben verschoben werden.
    Zudem kommt durch die Prüfung der sozialen Bedürftigkeit die „Mindest“rente der Grundsicherung gleich!

    4. Wenn die Sicherung der sozialen Belange ein finanzielles Problem für die SPD darstellt, warum wird dann nicht zumindest folgendes diskutiert
    -die Frage der Umverteilung von Fleißig nach Reich?
    -die Abwehr der Einwanderung in das offensichtlich zu schwache soziale Netz?

    Fazit

    A) Der einzige Weg, eine Korrektur im Sinne der Bevölkerung Deutschlands vorzunehmen, und gewählt hat schließlich diese, ist sich gegen ein Mißbrauchs-williges und zumindest Mißbrauchs-fähiges Machtmonopol auszusprechen.

    Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide stehen im Regierungsprogramm der SPD S. 97 unter
    „VIII .1 Demokratie als Gesellschaftsprinzip“
    20130415_regierungsprogramm_2013_2017.pdf

    und sind nicht verhandelbar!

    B) Es ist genau umgekehrt.
    Mit der Ablehnung dieses sogen. Koalitions-Vertrages, eines Ermächtigungs-Papiers zu Lasten der Fleißigen und der zu Untätigkeit und Verarmung Veruteilten wird die SPD aufgewertet.
    Und sie ist aufgefordert, sich von den Demokratie-Bremsen in der alten Führungs-Riege zu befreien!

  2. heintirol schreibt:

    Alles, was erst 2017 greifend wird, geht einem am Arsch vorbei, weil es dann die Regierung in dieser Konstellation nicht mehr geben wird. Nach mir die Sintflut? Mitglieder, denkt mit! Übrigens ist der Kommentar hervorragend, bis auf die Internetaktivitäten geheimer Dienste, denen wir eh hilflos ausgeliefert sind. Oder glaubt jemand, dass wir leitende Angestellte fremder Geheimdienste zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilen und dies auch vollstrecken können?

  3. Cource schreibt:

    Es geht nicht um Parteien und Ideologien es geht um den Erhalt des Lebensstandards aller Bürger mit einem Einkommen >10€/Std—alle die etwas zu verlieren haben werden für die GoKo stimmen

  4. get smart schreibt:

    Wir bitten um Verständnis, dass Vorraussetzung für die Teilnahme das Vorlegen des Parteibuches ist. Mit eurer Anmeldung zu den Veranstaltungen erleichtert ihr die Eingangskontrolle erheblich.

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