Merkel-Plan: Mehr Wettbewerb, mehr Stress und ein Meer an Verlierern

In einem Wettbewerb gewinnt immer nur EIN Team bzw. EIN Teilnehmer. Alle anderen gehen leer aus, verlieren. In ihrer Rede in Davos tat Kanzlerin Merkel jedoch so, als ob jeder Marktteilnehmer von mehr Wettbewerb profitieren würde, es also nur Gewinner gäbe. Dass dies jeder Logik widerspricht, ist auch in Deutschland jeden Tag zu beobachten.

Es ging Dienstag durch alle Medien: Jeder zweite Arbeitnehmer gibt an, dass immer größerer Stress zum Arbeitsalltag gehöre, zu viele Aufgaben müssen gleichzeitig erledigt werden. Dazu kommt der Druck, nicht zu versagen, womöglich den Arbeitsplatz zu verlieren und dann in Hartz-IV zu rutschen – ins Abseits der Gesellschaft. Im Wettbewerb zu stehen ist eben keine bequeme Lebensweise. Haben Sie schon einmal von einem Leistungssportler (schon das Wort ist zu schön!) gehört, der nicht viel leiden musste, bevor er endlich ganz oben stand? Da darf auch ruhig gedopt werden, aber bitte heimlich. Genauso wie Tabletten, Alkohol oder Kaufsucht prima Mittel sind, um erfolgreich seinen Arbeitsplatz zu halten. Obgleich „halten“ das falsche Wort ist, denn halt machen gilt nicht. Es muss Runde um Runde gedreht werden. Sie dürfen aber gerne einen iPod dabei tragen oder Pause bei MediaMarkt oder Autohaus Blender machen. Dann aber schnell weiterlaufen, denn es gibt Kilometergeld.

„Glaube versetzt Berge“ wird aus der Bibel gerne mal zitiert, wenn etwas Unmögliches erreicht werden soll. Genau so funktioniert dieses System: Der Glaube daran, dass es schon seine Richtigkeit hat, von Quartal zu Quartal die Leistungsgrenze zu erhöhen und immer mehr zu erwirtschaften, ohne von dem „Mehr“ selbst zu profitieren, dieser Glaube versetzt Berge. Geldberge! Man kann richtig zugucken wie die vielen kleine Berge zu den wenigen immer größer werdenden Geldbergen wandern. Nur: Diese Berge sind sicher nicht in Ihrer Nähe. Sie als fleißiger, ehrlicher und gläubiger Bürger dürfen nur für den Fluss sorgen, den Ablauf, in dem Sie in diesem Wettbewerb nicht nur laufen, sondern auch kaufen, aber nicht denken, aus Angst zu ertrinken. „Moment mal, ich habe eine Yacht, bin eine Führungskraft! Habe hart dafür gearbeitet. Ist doch alles gut!“. Oh ja! Wettbewerb ist, wenn von 100 Lesern dieses Artikels, die diesen Gedanken im Kopf haben, einer dieser Leser in fünf Jahren 10 Yachten besitzt und die anderen … nichts! Denn das ist nun einmal das Prinzip des Wettbewerbs: Am Ende gewinnt immer nur Einer oder ein Team. Und selbst wenn Sie noch gut mitlaufen können: Die Gebühren dafür werden höher und höher, der Stress nicht weniger, sondern mehr. Körper und Seele leiden: Depression, Krebs, Herzinfarkt, Rücken, Diabetes … welche Volkskrankheit darf es bei Ihnen sein? Willkommen bei den Verlieren dieses Wettbewerbs.

Der Gewinn lässt sich in diesem ungezügelten Kapitalismus am besten auf Kosten anderer vermehren. Das ist nur deshalb inzwischen möglich, weil unser Grundgesetz von den politischen Entscheidungsträgern einfach missachtet wurde. Die Gier der Superkapitalisten sollte in unserem Grundgesetz eigentlich keinen Platz bekommen, genau so wenig wie die Entwürdigung von Hartz-IV-Empfängern. Denn es heißt: „Eigentum verpflichtet!“ und „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ Und dann wäre da noch die Ewigkeitsgarantie unserer Demokratie. Aber davon will die Regierung derzeit nichts wissen, im Gegenteil: Kanzlerin Angela Merkel forderte in ihrer Rede am 24. Januar in Davos nicht nur mehr Wettbewerbsfähigkeit:

„Ich stelle mir das so vor – und darüber sprechen wir jetzt in der Europäischen Union –, dass wir analog zum Fiskalpakt einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit beschließen, in dem die Nationalstaaten Abkommen und Verträge mit der EU-Kommission schließen, in denen sie sich jeweils verpflichten, Elemente der Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, die in diesen Ländern noch nicht dem notwendigen Stand der Wettbewerbsfähigkeit entsprechen. Dabei wird es oft um Dinge wie Lohnzusatzkosten, Lohnstückkosten, Forschungsausgaben, Infrastrukturen und Effizienz der Verwaltungen gehen – also um Dinge, die in nationaler Hoheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union liegen. Das heißt also, die nationalen Parlamente müssten solche Verträge legitimieren. Diese Verträge müssen dann verbindlich sein, sodass wir feststellen können, inwieweit sich im Euroraum die Wettbewerbsfähigkeit verbessert.“

Und um klar zu machen, woran Europa, die EU in der Wettbewerbsfähigkeit noch krankt, ließ Sie lässig folgenden Satz auf dem Boden der Gierigen fallen:

„Europa hat heute noch etwa sieben Prozent der Weltbevölkerung. Europa wird, wenn das Wirtschaftswachstum wieder etwas in Gang kommt, vielleicht wieder knapp 25 Prozent des Weltinlandsprodukts haben. Gleichzeitig hat Europa annähernd 50 Prozent der Sozialausgaben der Welt.“

Sie stellte in ihrer Forderung nach mehr Wettbewerb also klar, dass die Sozialausgaben der EU im Verhältnis zur „Weltwirtschaft“ 50 % betragen! Das muss dann wohl, neben den immer wieder genannten zu hohen Lohnkosten, DER Wettbewerbsnachteil gegenüber China und Indien sein. Um diesen Nachteil zu Gunsten von sehr wenigen „Gewinnern“ in diesem Wettbewerb zu überwinden, müssen die Regeln geändert werden. Das ist gemeint mit neuen Verträgen, die mit der EU-Kommission geschlossen werden sollten. Solche Verträge lässt unser Grundgesetz jedoch nicht zu. Und deshalb soll es weg. An dieser Stelle ergänzend will ich folgenden Artikel auf „Radio Utopie“ empfehlen: „Analyse: Cameron bietet Merkel E.U.-Vertragsänderung für “schnellere, weitere” Zentralisation im Euro-System an„.

Angestellte in einem Verlagshaus nehmen natürlich auch an diesem Wettbewerb teil. Nur lassen sich immer schlechter Kunden finden, die in den Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen Anzeigenplätze kaufen wollen. Das ist schlecht, denn so finanzieren sich die Blätter nun einmal. Die Wenigen, die noch große Anzeigen schalten, sind meist Großkonzerne bzw. Tochterunternehmen aus der Energie-, Pharma-, Finanz- und Automobilbranche. Ich höre gerade den Chefredakteur: „Mein Lieber! Das ist ja alles schön und gut. Aber wenn ich diesen Artikel so durchgehen lasse, kann ich sie im nächsten Monat nicht mehr bezahlen“. So ein Wettbewerb ist eben hart! Und so geht man in den Feierabend, vorbei an den vielen Baustellen, auf denen fremde Sprachen erklingen, vorbei am gut von 1-Euro-Jobbern gepflegten Park, geht Lebensmittel einkaufen, Bio-Bananen aus Brasilien, und dann brüllt es im Supermarkt aus dem Lautsprecher: „Schüler an die Kasse!“. Spätestens dann fällt Ihnen auf, dass in Deutschland immer mehr Arbeitsplätze in den Niedriglohnsektor abgerutscht sind. Und wir rutschen alle mit, denn der Wettbewerb im hemmungslosen Kapitalismus kennt nur eine Richtung: Talfahrt. Es wird also höchste Zeit, dass Journalisten, Gewerkschaften, Politiker mit gesellschaftlichem Verantwortungsbewusstsein und die Bürger zusammen eine Front bilden, um den Finanzfaschisten Einhalt zu gebieten. Wir müssen das Gesetz wieder in die Hand nehmen – das Grundgesetz! Wir brauchen mehr Wettbewerb, mehr Wettbewerb für Ideen, die diesen Wahnsinn stoppen.

Dieser Beitrag wurde unter Kontra.e veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

3 Antworten zu Merkel-Plan: Mehr Wettbewerb, mehr Stress und ein Meer an Verlierern

  1. Sonja Meiners schreibt:

    Wettbewerb ist schon an sich kein Inhalt für eine Menschheit. Es sei denn man spielt „Mensch ärgere dich nicht“ oder Fußball. Aber sind Arbeitslosigkeit, Armut, Hunger, Krieg und Umweltzerstörung ein Spiel? Außerdem läßt sich Wettbewerb in einer menschlichen Gesellschaft nur unter gleichgeschalteten Zombies erzeugen. Wirkliche Menschen allerdings sind Individuen, d.h. jeder Mensch ist einzigartig. Sie können deshalb auch nicht miteinander konkurrieren. Nur identitätslose Phänomene können konkurrieren. Ein Paar Schuh kann mit einem anderen Paar Schuh konkurrieren, aber nicht mit einer Mütze. Dieser Wettbewerbsquatsch speist sich doch seit eh und je aus sozialdarwinistischen Konzepten. Wir sollten alle mittlerweile gelernt haben, wohin die führen.

  2. Mathias Wolfgang schreibt:

    Was uns fehlt ist eine breite Bürgerbewegung, ein Bündnis.
    Was ist aus Occupy geworden? Im Sande verlaufen.
    Dabei konnten viele von uns doch Live miterleben, wie man Unrecht beseitigen kann. Und zwar friedlich. Ich rede von den Protesten der Bevölkerung in der DDR. Die Proteste, die dazu führten, das Honecker Regime letztendlich zu stürzen. Eine breite und starke Bürgerbewegung könnte ein starkes Gegengewicht sein gegenüber der Finanzmafia, dem Raubtierkapitalismus, die dieses Land nun einmal beherrscht. Muss das jetzige bestehen bis in alle Ewigkeit? Wird es nicht wirklich mal Zeit für einen echten Wechsel? Für mehr soziale Gerechtigkeit, für ein menschenwürdiges Dasein für Alle? Ich bin bereit für den Wechsel.
    Bevor ich es vergesse. Danke für diesen sehr guten und lesenswerten Artikel, den ich selbstverständlich und auch gerne bei Facebook geteilt habe. Hoffe damit, dass ihn möglichst viele Menschen lesen werden und das dem einen oder anderen endlich mal die Augen geöffnet werden. Wie hieß es bei Matrix? Die rote oder die blaue Pille. Der Realität endlich ins Auge blicken oder weiter in einer Schein und Traumwelt leben. Wenigstens in diesem Punkt haben wir noch die Wahl.

  3. Stefan Wehmeier schreibt:

    „Wo freie Konkurrenz besteht, da wenden sich die Arbeitskräfte denjenigen Erwerbszweigen zu, in denen infolge hoher Preise mehr als das durchschnittliche Einkommen erzielt wird, und dann steigt das Angebot, sinken die Preise und das Einkommen. Und umgekehrt wenden sich, wo freie Konkurrenz besteht, die Arbeitskräfte von den Erwerbszweigen ab, in denen bei niedrigen Preisen weniger als das durchschnittliche Einkommen erzielt wird, und dann sinkt das Angebot, steigen die Preise und das Einkommen. Wenn in einer Stadt die Zimmerleute mehr verdienen als die Tischler, dann ziehen einige Tischler fort und der Lohn der Zurückbleibenden wird höher; und einige Zimmerleute ziehen zu mit der Folge, dass ihr Lohn niedriger wird. Wenn im ganzen Land die Rechtsanwälte mehr verdienen als die Ärzte, dann studieren mehr junge Leute die Rechte und weniger die Medizin, und nach einiger Zeit ist das Einkommen der beiden Berufe wieder im Gleichgewicht. Auf diese Weise bewirkt die freie Konkurrenz, dass sich auf die Dauer und im Durchschnitt ein Tag Zimmermannsarbeit haarscharf gegen einen Tag Tischlerarbeit tauscht, dass sich auf die Dauer und im Durchschnitt eine Stunde gewöhnlicher Rechtsanwaltsarbeit gegen eine Stunde gewöhnlicher Arztarbeit tauscht. Der Preis der Waren bzw. Leistungen, bei dem dieses Gleichgewicht besteht, ist ihr „natürlicher“ oder „gerechter“ Preis.“

    Franz Oppenheimer

    Gleiche Zeiten gleichwertiger Arbeit haben sich getauscht, es ist auf keiner Seite ein Mehr oder Weniger entstanden; es ist nirgends ein Zins in Erscheinung getreten; die Forderung der wirtschaftlichen Vernunft und Gerechtigkeit ist erfüllt. Die gleiche Vernunft und Gerechtigkeit verlangt aber auch, dass gleiche Zeiten ungleichwertiger Arbeit ungleiches Einkommen einbringen. Wenn ein besonders geschickter Arbeiter im Akkordlohn doppelt so viel schafft wie ein anderer, der ungeschickt ist, dann verdient er den doppelten Lohn und es tauscht sich eine Stunde seiner Arbeitszeit gegen zwei Stunden des anderen. Wenn ein Architekt besonders gefragt ist, kann er zwanzigmal soviel verdienen wie ein unbegabter Bauunternehmer; und der Bauunternehmer muss, wenn er diesen Architekten konsultiert, zwanzig Stunden seiner Arbeitszeit gegen eine Stunde tauschen. Auch in diesen Fällen hat jede Leistung, jede Ware ihren „natürlichen“ und „gerechten“ Preis und es entsteht beim Tausch weder ein Mehr noch ein Weniger. Eine Stunde höherer Arbeit hat eben den doppelten oder auch zwanzigfachen Preis einer Stunde gewöhnlicher Arbeit, und darum tauschen sich auch hier, wenn nicht gleiche Arbeitszeiten, so doch gleiche natürliche Arbeitspreise. Das ist gerecht und vernünftig und liegt im allgemeinen Vorteil. Es wäre ungerecht, wenn der Fleißige nicht mehr verdiente als der Faulpelz, und der Begabte nicht mehr als der Unbegabte. Es wäre auch für die Allgemeinheit schädlich. Denn dann würde kaum jemand mehr fleißig sein und kaum jemand würde noch das Streben haben, seine Begabung zur höchsten Leistungsfähigkeit zu entwickeln. Und darunter müssten alle leiden.

    Auf diese Weise bewirkt die so oft missverstandene freie Konkurrenz durch den Ausgleich der Preise den Ausgleich der Einkommen nach der Arbeitsleistung. Und eben diese freie Konkurrenz bewirkt auch, dass kein dauerndes arbeitsloses Einkommen, kein Zins entstehen kann. Der Weg in die ausbeutungslose Wirtschaft als Voraussetzung für die klassenlose Gesellschaft kann nur in einer Befreiung der Wirtschaft von allen Wettbewerbshemmungen, das heißt in einer möglichst ungehinderten Konkurrenz liegen, niemals aber in einer planwirtschaftlichen Knebelung der Wirtschaft.

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2013/02/marktgerechtigkeit.html

Hinterlasse einen Kommentar